Tomás erzählt...

Veröffentlicht am 23.12.2003

Gestern haben die Männer wieder eine riesige männliche Schildkröte aus dem Wald mitgebracht. Mariano will sie später in Lima zu Geld machen.
Ich sitze mit Tomás unter der Veranda und wir versuchen den Regen zu verstehen, ihn zu fühlen, ihn zu lieben. „Rain for the poor, rain for the rich.“ sagt Tomás und ich antworte ihm, daß ich deswegen nicht sauer auf den Regen bin. Das freut ihn, denn er macht sich Gedanken, daß ich trübsinnig werden könnte bei dem vielen Naß. Ich beruhige ihn und sage ihm, daß ich ja schließlich nicht im Urlaub bin. Damit ist er zufrieden.
Er kommt wieder auf seine Arbeit zu sprechen und meint: „Wir können nur versuchen zu verstehen. Und wenn wir meinen, etwas verändern zu müssen, dann geht das hier nur auf einem sehr langen Weg.
Ein Beispiel; ein Mann will an einem anderen Mann Rache üben. Ich sage zu ihm, daß ich das nicht gut finde. Aber wenn er es schon unbedingt tun muß, dann soll er ihn töten und ihm nicht eine Hand, die Nase oder einen Fuß abschneiden. Ich sehe es zum Beispiel als großen Erfolg an, wenn sie Pedro, welcher José gestern jämmerlich verprügelt hat, nicht töten, sondern ihn zur Strafe allein mit der Machete einen Hektar Gras hauen lassen. Bei sengender Hitze. Wenn die ansonsten sehr friedlichen Leute hier wütend werden dann erkennst du sie nicht wieder. Auch die Frauen. Ich habe erlebt, wie eine Frau einem gefangenen Terroristen einen Pfeil in den Bauch stieß, weil der alle ihre Hühner getötet hatte. Wenn wir die Leute hier verstehen wollen, dann müssen wir zuerst das Leben im Dschungel studieren. Ein anderes Vorbild haben sie nicht. Wir dürfen also nicht verurteilen sondern können nur wie Jesus zu der Sünderin sagen: Geh und tu in Zukunft Gutes!“

 

Es ist schwer zu verstehen und unser Denken, geboren und entwickelt in einer abgesicherten, manchmal sogar sterilen Umgebung, wehrt sich dagegen. Es ist das Gesetz des Dschungels; ich muß die Schlange töten, sonst tötet sie den Bruder, der hinter mir geht. Die Menschen können nur anders miteinander umgehen wenn ihre Lebensumstände sich verbessern. Und genau dabei will Tomás ihnen helfen. Ich kann angesichts dieser Erfahrungen nicht mehr verstehen, warum einige „Romantiker“ trotzdem verlangen, es sei alles zu tun, damit die Indios weiterhin wie bisher „ursprünglich“ leben sollen. Zumindest die Leute von Cheni wollen ein anderes Leben.
Heute nachmittag sind die Kühe ins Dorf gebracht worden. Alle sind sehr stolz auf die große Herde des Dorfes.